Kürzlich hat das Jobcenter Pinneberg – wie z.B. die KN berichtet – eine hübsch bebilderte Broschüre herausgegeben, die allerlei Tipps für Menschen bereithält, welche von der „Grundsicherung für Arbeitssuchende” (alias Arbeitslosengeld II alias Hartz IV) leben müssen. Ersteinmal eine gute Sache wenn ALG II-Betroffene Hinweise erhalten, wie sie mit dem knapp bemessenen Regelsatz ihren Alltag bewältigen können – sollte man meinen. Die Broschüre des Jobcenters Pinneberg ist allerdings an eiskaltem Zynismus kaum noch zu überbieten. Niemand, der durch ALG II in existenzbedrohende Armut geworfen wurde, wird die sich einschneidend verändernden (nämlich massiv verschlechterten!) Lebensbedingungen so leichtfüßig und rundum glücklich aufnehmen wie die dargestellte fiktive Familie Fischer. Eine Frechheit zudem die fröhliche Bebilderung auf dem Niveau von Grundschulbüchern. Wer solche Ratgeber herausgibt, nimmt Betroffene nicht ernst. Über das dahinterstehende Menschenbild möchte ich gar nicht erst spekulieren.
In der Realität wird es wohl kaum vorkommen, dass eine vierköpfige Familie sich darüber freut, in eine kleinere Wohnung umziehen zu müssen. Trotz des Gartens, den der fiktive Vater Knut Fischer sich „schon immer gewünscht hat” und der jetzt zu sparendem Eigenanbau von Gemüse genutzt werden kann. Keinerlei Wort wird in diesem Zusammenhang natürlich darüber verloren, dass insbesondere auch in den Gemeinden rund um Hamburg (zu welchen Pinneberg zählt) preisgünstige Wohnungen kaum noch zu finden sind – zumindest nicht zeitnah, so wie es die Broschüre suggeriert.
Weiter in der Geschichte: Vor diesem (Zwangs-)Umzug muss Familie Fischer natürlich den Dachboden der alten Wohnung entrümpeln und findet dort seit elf Jahren ungenutz abgestellte Möbel. Diese werden – total modern! – bei einer Internetauktion verkauft, die auch gleich 350 Euro einbringt. Ja, für elf Jahre alte Möbel vom Dachboden. Natürlich surft der gewitzte Sohn der Familie dann als allererstes die Webseite des Jobcenters an, um seinem Vater fröhlich erklären zu können, dass Verkäufe aus dem Hausrat nicht als Einkommen auf die Regelleistung angerechnet werden.
Wer glaubt den ernsthaft, dass sich dies in der Realität tatsächlich so abspielen würde? Und die Broschüre ist voll von weiteren, völlig konstruierten Beispielsituationen. Für mich ist eindeutig: Mal wieder soll dargestellt werden, dass Arbeitslosigkeit ein individuelles „Schicksal” sei, welches mit ein wenig Einschränkungen und Sparsamkeit glücksseelig bewältigt werden kann. Bei vollkommener Kooperation mit dem Jobcenter, die dem Vater Knut Fischer natürlich als Happy End der Geschichte selbstverständlich einen tollen neuen Arbeitsplatz vermittelt.
Wer lieber etwas über die Wirklichkeit gegenwärtiger Arbeitslosigkeitsverwaltung erfahren möchte, dem sei der Blog von Inge Hannemann, einer wegen Kritik vom Dienst suspendierten Mitarbeiterin des Jobcenters Hamburg empfohlen.
Besagte Broschüre [pdf] kann übrigens direkt von der Webseite des Jobcenters Pinneberg heruntergeladen werden. Um keine Post von Anwälten dieses Jobcenters zu riskieren, musste ich auf eine Veröffentlichung der „tollen” Bilder in Grundschulbuchoptik an dieser Stelle leider verzichten.