Eine neue Parole erobert die Stammtische: Die „Armutsmigranten“ aus osteuropäischen EU-Ländern kommen, dagegen muss etwas getan werden! Nicht nur die CSU tönt in den letzten Tagen in dieses Horn (laut Seehofers Realitätswahrnehmung müssten in Bayern bereits Millionen Zuwanderer leben), auch die Boulevardpresse schürt kräftig Angst.
Hintergrund ist, dass mit dem Jahresbeginn auch die letzten Einschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit – welche nur von wenigen Staaten wie z.B. Deutschland und Österreich überhaupt angewendet wurden – innerhalb der Europäischen Union aufgehoben worden sind. Somit steht auch Arbeitskräften aus Bulgarien und Rumänien der deutsche Arbeitsmarkt uneingeschränkt offen.
Anfang 2011 wurde bereits eine ähnliche Panik geschürt, als die Beschränkungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Polen aufgehoben worden sind. Von der damals demagogisch angekündigten „Masseneinwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt“ ist bis heute nichts zu sehen – tatsächlich kamen nach der Aufhebung der Einschränkungen weniger als 10 000 Menschen aus Polen neu zum arbeiten in die Bundesrepublik.
Dieses hat einen simplen Grund: Im Gegensatz zu den geschönten Propagandazahlen hierzulande wächst die Wirtschaft in Polen tatsächlich Jahr für Jahr erheblich. Im Gegensatz zur Realität der stagnierenden oder gar sinkenden Reallöhne in Deutschland sind in allen osteuropäischen EU-Staaten über die letzten Jahre deutliche Lohnzuwächse zu verzeichnen. Um im deutschen Niedriglohnsektor ein paar Euro pro Stunden zu verdienen wandert niemand aus, wenn selbst die Mindestlöhne im jeweiligen Heimatland bereits eine ähnliche Höhe erreicht haben.
Der Glaube, dass ausgerechnet der deutsche Arbeitsmarkt besonders attraktiv für Menschen aus anderen EU-Staaten sein soll, ist ziemlich grotesk. Kaufkraftbereinigt ist die Bundesrepublik Deutschland schon seit Jahren DAS Billiglohnland Europas. Warum wohl scheuen sich z.B. die Ausbeuterbetriebe in der Fleischerei-Industrie (siehe hierzu diese erschreckende ARD-Dokumentation), ihre Unternehmen in Länder mit niedrigeren Arbeitskosten zu verlagern, wie es ja in den 90er Jahren noch geschehen ist? Weil sie längst in einem Land mit niedrigen Löhnen und schlechten Arbeitsbedingungen sind.
Und genau darum geht es bei der gegenwärtigen Hetzkampagne: Durch das Vorzeigen eines Sündenbocks und manchen rassistischen Anspielungen soll (mal wieder) davon abgelenkt werden, was wirklich in diesem Land geschieht – dass Armut nicht erst einwandern muss, sondern durch die marktradikale Politik der letzten Jahrzehnte hierzulande bereits lange zum Alltag gehört. Nachdem die „muslimische Bedrohung“ doch nicht für den Untergang des Abendlandes gesorgt und die „Asylantenschwemme“ der 90er Jahre den Deutschen in der BRD nicht den angekündigten Minderheitenstatus beschert hat, müssen jetzt halt die Menschen vom Balkan als Bedrohungsszenario herhalten. Ein Herrschaftsinstrument, das so alt ist wie die Furcht der Römer vor den Barbaren.