Kampen kapern 2014

Abschlussrede: Kampen kapern! (Text)

Liebe Kampenerinnen und Kampener, liebe Teilnehmende,

vor etwa einem Jahr gab es auf 3sat mal eine ziemlich entlarvende Dokumentation. „Schön reich – Steuern zahlen die anderen“ war der Titel. Gezeigt wurde ein Millionärs-Ehepaar, die einzig von ihrem Vermögen lebten sowie eine Arbeiterfamilie mit drei Kindern. Und jetzt ratet mal, welcher von beiden Haushalten mehr Einkommenssteuer gezahlt hat:

Tatsächlich war es die Arbeiterfamilie, die sieben Mal (!!) soviel jährlich an Einkommenssteuer entrichten musste wie die Millionäre. Die jeweiligen Steuerbescheide wurden gezeigt, es handelt sich also nicht um eine Erfindung linkslastiger Medien.

Aus diesem Film klingelt mir bis heute ein Satz im Ohr, welchen die gezeigte Millionärin gesagt hat: „Wer arm ist, hat nur keine Lust zu arbeiten.“

Eine Unverschämtheit! Und es muss die Frage gestellt werden: Auf welchem Planeten leben solche Leute eigentlich?

Realität in diesem Land ist doch, dass unzählige Millionen Menschen arm sind bzw. von Armut bedroht sind, obwohl sie den ganzen Tag arbeiten. Alleine schon ca. sechs Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerinnen werden von dem kürzlich beschlossenen – und nebenbei viel zu niedrigem und viel zu löchrigem – gesetzlichen Mindestlohn direkt profitieren.

Das heißt nichts anderes, als dass im Moment 15% der erwerbstätigen Bevölkerung für einen Lohn arbeiten, von dem sie nicht leben können. Sie sind arm, trotz Arbeit!

Und auch wenn der Mindestlohn dann endlich kommt, in Höhe von 8,50 Euro pro Arbeitsstunde, dann beginnt ja nicht das Leben in Saus und Braus.

Eine Beispielrechnung: Mal eine Vollzeitstelle angenommen, Steuerklasse III, zwei Kinder – typische Durchschnittsfamilie also. Dann reden wir bei 8,50 Euro Stundenlohn von einem monatlichen Nettoeinkommen in Höhe von 1.085 Euro. 1.085 Euro! Wahrlich kein Leben in Saus und Braus.

Vielmehr ein Leben unterhalb der so genannten „Armutsrisikogrenze“, wie es die Statistiker nennen. Und von der damit drohenden Altersarmut will ich hier gar nicht erst anfangen. Das würde den Rahmen sprengen, uns wurden für diese Aktion ja nur eine Stunde zugebilligt.

Deswegen direkt nach Schleswig-Holstein. Wusstet ihr, dass Schleswig-Holstein prozentual den größten Niedriglohnsektor aller westdeutschen Bundesländer hat?

Über 25% der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, also jeder vierte (!!) Beschäftigte in Schleswig-Holstein bekommt einen Niedriglohn.

Wenn man nur die arbeitenden Frauen betrachtet ist die Quote sogar noch viel höher, sie liegt bei erschreckenden 40%. Fast jede zweite Frau, die in Schleswig-Holstein arbeitet, bekommt dafür nur einen Niedriglohn!

Hauptursache hierfür ist sicherlich, dass in Schleswig-Holstein Tourismus, Gastwirtschaft, Einzelhandel und Dienstleistungen im Allgemeinen die größten Wirtschaftszweige sind. Branchen also, in denen leider immer noch viel zu niedrige Löhne gezahlt werden.

Und wenn wir beim Thema Tourismus und Gastwirtschaft sind, dann sind wir auch ganz schnell auf Sylt. Gar nicht überraschend ist in dem Zusammenhang, dass im Kreis Nordfriesland die Quote der sogenannten „Aufstocker“ doch vergleichsweise hoch ist.

Es gibt hier halt viele Niedriglohnbezieher, deren Erwerbseinkommen so niedrig ist, dass sie ergänzend noch Harz-IV-Leistungen beziehen müssen – obwohl sie arbeiten. Und die meisten dieser Niedriglohnbezieherinnen und Niedriglohnbezieher arbeiten tatsächlich hier auf Sylt.

Das sind nämlich genau diejenigen, die hier im Tourismussektor, in der Gastronomie oder im Einzelhandel arbeiten und hier für diejenigen, die es sich leisten können, das schöne Urlaubserlebnis schaffen.

Auch Sylt hat, wie ganz Schleswig-Holstein, zwei Gesichter: Einerseits die harte Realität von Niedriglöhnen, von steigenden Preise für grundlegende Dinge wie Wohnen, Gesundheit oder Mobilität – andererseits das schöne Luxusparadies für diejenigen, die es sich, wir hier in Kampen, auf Kosten vieler anderer leisten können.

Vor einiger Zeit war hier in Kampen mal jemand von der „heute-show“ (glaub ich), und hat offensichtlich gut betuchte Passanten befragt, was sie denn von höheren Steuern halten würde. Eine der Antworten war, höhere Steuern seien ungerecht, da der Staat ja zu viel Geld für, Zitat, „arbeitsscheues Gesindel“ ausgibt.

Vielleicht hatte der junge Mann sogar recht: Wenn ich mich hier so umschaue, wenn ich sehe, wie hier Menschen von den Erträgen ihrer Großvermögen in dekadentem Luxus schwelgen; und wenn ich dann darüber nachdenke, wie unfassbar viele Milliarden Euro an Steuergeldern dafür verbrannt wurden um Banken und die dortigen Einlagen oberhalb der gesetzlich garantierten 100.000 Euro zu retten – dann könnte ich auch auf den Gedanken kommen, dass der Staat viel zu viel Geld für Arbeitsscheue ausgegeben hat. Denn: Kapitalerträge sind leistungsloses Einkommen. Da Geld bekanntlich nicht auf Bäumen wächst, hat die Zinsen nämlich irgendjemand anderes erarbeitet.

Und gerade da Kapitaleinkommen ohne eigene Arbeit und ohne eigene Leistung zustande kommen, muss der Unsinn endlich aufhören, dass Kapitalerträge geringer besteuert werden als Arbeitseinkommen! Umgekehrt müsste es sein!

Abschließend noch ein Wort dazu, warum wir gerade hier in Kampen demonstrieren. Es gab ja einige Schwierigkeiten mit den zuständigen Behörden, damit wir hier unser Recht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen können.

Die Kampener Bürgermeisterin sowie einige andere hier, die wir angesprochen haben, sagten uns: „So etwas wie eine Demonstration passt hier nicht hin!“

Völlig falsch. GENAU hier ist GENAU für dieses Thema der GENAU richtige Ort, um für ein gerechtes Steuersystem und für die Finanzierung öffentlicher Infrastruktur auf die Straße zu gehen! Den genau dieser Ort, Kampen auf Sylt, ist der Ort in der Bundesrepublik mit dem größten Vermögen pro Einwohner.

Es gibt keinen besseren Ort, um den Protest gegen eine Politik, die Reiche & Konzerne bevorzugt und die arbeitende Bevölkerung immer mehr belastet, auf die Straße zu tragen.

Und eines möchte ich daher versprechen: Wir kommen wieder! Wir werden solange immer wieder hier nach Kampen kommen, bis es endlich ein gerechtes Steuersystem gibt und die Vermögenden dieser Gesellschaft angemessen an der Finanzierung unseres Gemeinwesens beteiligt werden. Also: Bis zum nächsten Mal!

Danke für eure Aufmerksamkeit!

(Hier kann die Rede auch als Video betrachtet werden)

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